Problemverhalten: der aggressive Hund
Unter Aggression versteht man angeborene Verhaltensmuster, die zur Verteidigung von Ressourcen, der Nachkommen und zum Selbstschutz lebensnotwendig sind. Aggressionen sind also nicht grundsätzlich schlecht - reagiert ein Hund in gewissen Situationen aber unangemessen aggressiv, stellt er eine ernstzunehmende Gefahr für Menschen und Artgenossen dar.
Inhaltsübersicht
Formen der Aggression
1) Angstaggression
Sehr häufig resultiert Aggressivität aus Angst und Unsicherheit: Gelingt es dem Hund nicht, einen vermeintlichen Angreifer durch Drohsignale auf Distanz zu halten, bleibt als letzter Ausweg nur noch der Angriff.
2) Territoriale Aggression
Zum normalen Verhalten eines Hundes gehört es, sein Revier zu verteidigen: Insbesondere Herdenschutzhunde nehmen diese Aufgabe oft übertrieben ernst und neigen zu territorialer Aggressivität.
3) Rangordnungsbezogene Aggression
Ist die Rangordnung im Rudel unklar, sieht sich der Hund häufig gezwungen, die Position des in seinen Augen untauglichen Rudelführers einzunehmen. Auch zwischen Artgenossen können immer wieder Aggressionen entflammen, wenn durch die Einmischung des Besitzers die Rangordnung nicht abschließend geklärt werden kann.
4) Aggressivität zur Verteidigung von Ressourcen
Für wildlebende Hunde sind Nahrung, ein Schlafplatz und der Geschlechtspartner lebenswichtige Besitztümer, die es zu verteidigen gilt. Haushunde können aggressiv reagieren, wenn sie ihr Futter oder Spielzeug bedroht sehen. Gelegentlich betrachten Hunde auch die Menschen ihres "Rudels" als Besitz und verteidigen sie vehement gegen potentielle Angreifer.
5) Aggressivität aus Frustration
Darf der Hund eine Aktivität nicht ausüben, die ihm gerade sehr wichtig erscheint, reagiert er seine Frustration oft durch aggressives Verhalten ab: Das klassische Beispiel ist der sich wild gebärdende angeleinte Hund, der nicht mit seinen freilaufenden Artgenossen Kontakt aufnehmen darf. Scheinbar grundlos auftretendes aggressives Verhalten kann auch aus schlechten Haltungsbedingungen mit mangelnder körperlicher und geistiger Auslastung und fehlender Zuwendung resultieren.
6) Krankheitsbedingte Aggressivität
Wenn ein bislang friedlicher Hund aus heiterem Himmel Wesensveränderungen mit gesteigerter Aggressivität zeigt, steckt häufig eine körperliche Erkrankung dahinter. Leidet ein Hund beispielsweise an Schmerzen an der Wirbelsäule, kann schon eine leichte Berührung aggressives Abwehrverhalten auslösen. Störungen im Hormonhaushalt können sowohl bei Rüden als auch bei Hündinnen das Verhalten beeinflussen - eine Kastration löst das Problem nicht zwangsläufig und sollte nur nach strenger Abwägung des Für und Wider durchgeführt werden. Auch zu proteinreiches Futter kann unter Umständen das Auftreten von Aggressionen begünstigen.
Aggression oder Angst?
Auch ein ängstlicher Hund kann aggressiv reagieren, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt. Er versucht dann aber zunächst zu beschwichtigen oder dem Konflikt auszuweichen - äußere Zeichen der Unsicherheit sind die geduckte Körperhaltung und die Vermeidung von Blickkontakt. Ein offensiv drohender Hund dagegen, der etwa sein Revier verteidigt oder seine Überlegenheit demonstrieren will, ist an seiner starren, aufrechten Körperhaltung zu erkennen. Der Schwanz ist hoch aufgerichtet oder gerade nach hinten gestreckt, die Augen sind fest auf den Gegner gerichtet. Zähnefletschen mit stark gekräuseltem Nasenrücken und Knurren warnen vor einem bevorstehenden Angriff - werden diese Signale nicht ernst genommen, beißt der Hund in letzter Instanz zu.
Aggressivität - angeboren oder erlernt?
Aggressives Verhalten beim Hund resultiert zumeist aus einem Zusammenspiel von Erbanlagen, Erfahrungen und Haltungsbedingungen. Mangelnde Sozialisierung, eine inkonsequente oder zu harte Erziehung und eine instabile Rangordnung begünstigen das Auftreten unangemessener Aggressivität ebenso wie eine zu geringe Auslastung des Hundes. Macht ein Vierbeiner bereits in den ersten Lebensmonaten überwiegend schlechte Erfahrungen mit Menschen oder Artgenossen, kann die daraus erwachsende Aggressivität oft nur mit professioneller Hilfe auf ein sozialverträgliches Maß reduziert werden.
Das Training mit dem aggressiven Hund
Um mit dem Hund gezielt trainieren zu können, muss die Ursache für die Aggressivität herausgefunden werden. Oft stellt sich diese für einen hundeerfahrenen Außenstehenden klarer dar als für den "betriebsblinden" Hundehalter. Da aggressive Hunde eine potentielle Gefahr für ihre Umwelt darstellen, sollte sich der Besitzer nicht scheuen, bereits beim ersten Auftreten aggressiven Verhaltens den Rat eines Hundetrainers oder Hundepsychologen einzuholen: Je länger ein Verhaltensproblem besteht, desto langwieriger und schwieriger wird die Therapie.
1) Aggressivität gegen Artgenossen
Viele Hunde pöbeln nur gegen Artgenossen, wenn sie an der Leine gehalten werden. Dieser sogenannten "Leinenaggression" können mehrere Ursachen zugrunde liegen: Sehr häufig ist der Vierbeiner durch die Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit schlicht frustriert, viele Hunde überspielen zudem Angst und Unsicherheit mit aggressivem Gehabe. Außerdem möchte ein Hund seine Distanz zum Artgenossen selbst bestimmen, was an der Leine nicht möglich ist. Hunde spüren auch sehr genau, wenn sich der Besitzer durch die Situation überfordert fühlt: Oftmals sehen sie sich dann gezwungen, die Rolle des Beschützers zu übernehmen, was die Wogen zusätzlich hochschaukelt.
Was tun bei Leinenaggression?
Damit der Hund die für ihn notwendige Distanz zum Artgenossen einhalten kann, sollte er immer in einem großen Bogen um einen anderen Hund herumgeführt werden, nie frontal auf diesen zu. Manchmal gelingt es, den Vierbeiner mit einem Spielzeug abzulenken, sobald ein vermeintlicher Rivale in Sicht kommt.
Aber Achtung: Bekommt der Hund das Spielzeug erst dann, wenn er bereits zu pöbeln begonnen hat, wird sein aggressives Verhalten damit belohnt - das richtige Timing ist hier außerordentlich wichtig. In vielen Fällen führt auch eine Gewöhnung in kleinen Schritten ans Ziel: Als Übungspartner eignet sich ein ruhiger, ausgeglichener Hund, der sich vom eigenen "Leinenrambo" nicht provozieren lässt. Die beiden Hunde werden dabei zuerst in großer Distanz aneinander vorbeigeführt, diese wird nach und nach verkleinert, sobald sich erste Erfolge einstellen. Der eigene Hund sollte dabei lernen, sein Augenmerk auf den Besitzer zu richten und den anderen Hund zu ignorieren - auch hier darf Ablenkung durch Spielzeug oder Leckerchen (zeitgerecht!) eingesetzt werden.
Der Hundehalter muss auch sein eigenes Verhalten überprüfen: Zupft er nervös an der Leine und redet in Erwartung einer Eskalation aufgeregt auf den eigenen Hund ein, überträgt sich diese Unsicherheit auf diesen und stellt den Trainingserfolg in Frage. Selbstbewusstes Auftreten dagegen gibt dem Hund Sicherheit und nimmt ihm die Verantwortung ab, Herrchen oder Frauchen verteidigen zu müssen.
Generelle Unverträglichkeit mit Artgenossen
Hat ein Hund in den ersten Lebensmonaten keinen Kontakt zu anderen Hunden oder machte schlechte Erfahrungen mit ihnen, reagiert er später häufig aus Angst und Unsicherheit aggressiv. Um eine mangelhafte Sozialisierung auszugleichen, ist ein gezieltes und konsequentes Training erforderlich, das von einem erfahrenen Hundetrainer vorgegeben und begleitet werden sollte. Ein friedfertiger, gut sozialisierter Hundepartner kann dabei oftmals erfolgreich assistieren.
2) Aggressivität gegen Menschen
Ein Hund, der scheinbar grundlos Menschen beißt, ist insbesondere für Kinder eine große Gefahr. Oft liegt dem Fehlverhalten eine Ursache zugrunde, die mit gezieltem Training beseitigt werden kann - um jedes Risiko auszuschließen, sollte der Hund aber nie mit Kindern alleine gelassen und immer gut beobachtet werden. In Einzelfällen kann das zeitweise Tragen eines Maulkorbs angezeigt sein. Falsche Erziehungsmaßnahmen können das Fehlverhalten des Hundes noch verstärken: Nach einer gründlichen Ursachenforschung sollte deshalb ein erfahrener Hundetrainer oder Verhaltensberater ein geeignetes Trainingsprogramm für den Hund zusammenstellen. Eine eingehende Untersuchung durch den Tierarzt kann zudem Aufschluss geben, ob Schmerzen oder eine Erkrankung das aggressive Verhalten auslösen oder verstärken. In manchen Fällen kann die Gabe von Bachblüten oder homöopathischen Wirkstoffen das Training unterstützen.
Rangordnungsbezogene Aggression
Zwischen der 13. und 16. Lebenswoche durchläuft ein junger Hund die Rangordnungsphase, in der er seine Stellung in der Hierarchie findet. Auch im Zusammenleben mit dem Menschen lotet der Junghund seine Grenzen aus und testet die Führungsqualität der Ranghöheren: Der Hundehalter muss in dieser Zeit besonders auf die konsequente Einhaltung bestehender Regeln achten, um als Autorität anerkannt zu werden. Das regelmäßige Üben der Grundkommandos und die Einführung weiterer nützlicher Befehle trägt ebenfalls zur Stabilisierung der Rangordnung bei.
Aggression gegen Kinder
Häufig geht einer Beißattacke ein Fehlverhalten des Kindes voraus, das den Hund verunsichert oder ihm sogar Schmerzen verursacht. Die unsicheren Bewegungen eines Kleinkindes können beim Hund Beutefangverhalten auslösen: Dieser Reaktion liegt keine böse Absicht zugrunde, für das Kind können die Folgen dennoch schwerwiegend sein. Fühlt sich ein Hund durch den Familienzuwachs zurückgesetzt, versucht er dagegen unter Umständen, den unwillkommenen Rivalen durch Drohgebärden zu vertreiben. Verhält sich ein Hund einem Kind gegenüber aggressiv, ist äußerste Vorsicht geboten: Mit Hilfe eines Hundeexperten sollten unverzüglich die Ursachen ergründet und individuell abgestimmte Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Bei einem "eifersüchtigen" Hund hilft es oft, ihn unter strenger Aufsicht mehr ins Familienleben einzubeziehen - bekommt er in Gegenwart des Kindes genügend Aufmerksamkeit und macht mit ihm positive Erfahrungen, wird er es nicht mehr als Konkurrenz ansehen. Knurrt ein Hund, um sich zu verteidigen, sollte er dafür nicht getadelt oder bestraft werden: Anderenfalls beißt er das nächste Mal vielleicht ohne Vorwarnung zu.
Aggressivität aufgrund eines übersteigerten Schutztriebs
Charakter- oder rassebedingt neigen manche Hunde dazu, ihr Territorium und manchmal auch ihre Besitzer gegen Fremde zu verteidigen. Oft verbirgt sich dahinter ein Rangordnungsproblem: Der Hund hält seinen Rudelführer schlicht für unfähig, diese Aufgabe selbst zu erledigen. Souveränes Auftreten, unmissverständliche Anweisungen und das konsequente Beharren auf die Einhaltung einmal aufgestellter Regeln vermitteln dem Hund Sicherheit und entbinden ihn von seinen selbst auferlegten Aufgaben. Auch ein regelmäßiges Gehorsamstraining ohne übertriebene Härte trägt zur Stabilität der Rangordnung bei.
Angstaggression
Aus Unsicherheit erwachsende Aggressivität kann sich sowohl gegen Menschen als auch gegen Artgenossen oder Gegenstände richten. Im Vordergrund des Trainings steht, das Selbstvertrauen des Hundes zu stärken: Eine auf die Fähigkeiten des Vierbeiners abgestimmte Ausbildung in der Hundeschule oder Hundesport können dazu wesentlich beitragen. An die Bewältigung heikler Situationen sollte der Vierbeiner behutsam in kleinen Schritten herangeführt werden - eine vertrauensvolle Bindung zu seinem Besitzer stärkt ihm dabei den Rücken.
Literaturempfehlung / Quellen
- Darf der das?: Aggression bei Hunden
(Petra Krivy/Angelika Lanzerath, Verlag Müller Rüschlikon, 2012) - Der aggressive Hund: Arten der Aggression und Trainingsstrategien
(Brenda Aloff, Kynos Verlag, 2011) - Aggression beim Hund: Ursachen erkennen, Verhalten verstehen und richtig reagieren
(Martin Rütter, Kosmos Verlag, 2011)
"Ein Leben ohne Tiere ist möglich, aber sinnlos." So lautet das Lebensmotto der Tierpsychologin und Autorin Regine Schineis, die gemeinsam mit Mann und Tieren in der Steiermark zu Hause ist.