Problemverhalten: der ängstliche Hund

Angst ist eine natürliche Reaktion auf eine potentielle Gefahr, ohne die ein Tier in freier Wildbahn nicht überleben könnte. Im Zusammenleben mit dem Menschen ist der Hund weit weniger Bedrohungen ausgesetzt - dennoch leiden viele Haushunde unter scheinbar grundlosen oder übersteigerten Angstreaktionen, die sich nachteilig auf Lebensqualität und Alltag von Mensch und Tier auswirken.

Ursachen für ängstliches Verhalten beim Hund

Der Grundstein für einen weitgehend angstfreien Umgang mit Menschen, Artgenossen und Umweltreizen wird bereits in den ersten Lebensmonaten des Hundes gelegt. Ein Welpe, der in der Sozialisierungsphase von der achten bis etwa zur zwölften Lebenswoche viele positive Erfahrungen mit Menschen aller Altersstufen und anderen Tieren machen darf, wird diesen im späteren Leben in der Regel angstfrei gegenübertreten.

Auch mit Lärm oder Hektik verbundene Alltagssituationen, mit denen er in dieser Phase behutsam vertraut gemacht wurde, kann er in Zukunft souverän meistern. Wächst der Hund dagegen in reizarmer Umgebung ohne den Kontakt zu Artgenossen und Menschen auf, fühlt er sich später außerhalb seines vertrauten Lebensbereiches schnell überfordert und reagiert mit Angstsymptomen.

Zu harte Erziehungsmaßnahmen oder körperliche Gewalt lösen ebenfalls Ängste aus, die sich tief in die Hundeseele einprägen. Manchmal geben sehr sensible Elterntiere eine Veranlagung zur Überängstlichkeit an ihre Nachkommen weiter - durch eine gute Sozialisierung in den entscheidenden ersten Lebenswochen können Züchter und Besitzer dem Auftreten übersteigerter Ängste aber entgegenwirken.

Wie zeigt sich Angst beim Hund?

Die Angst des Hundes zeigt sich schon an seiner Körperhaltung: Er versucht sich so klein wie möglich zu machen, legt die Ohren an und zieht den Schwanz ein. In einer akut furchteinflößenden Situation - wie etwa beim Tierarzt oder während eines Gewitters - zittern, hecheln und speicheln ängstliche Hunde oft stark, verkriechen sich oder laufen unruhig umher.

Ist die Angst auf einen Menschen oder ein anderes Tier bezogen, versucht der Hund, den vermeintlichen Angreifer durch Beschwichtigungssignale (Abwenden des Kopfes, Lecken der Schnauze, Zusammenkneifen der Augen) milde zu stimmen. Kommt ihm die potentielle Gefahr jedoch zu nahe, können Drohgebärden bis hin zum angstaggressiven Zuschnappen folgen.

Sehr sensible Hunde verlieren in für sie bedrohlichen Situationen manchmal die Kontrolle über Blase oder Darm, auch übermäßige Schweißabsonderung an den Pfoten und Lautäußerungen wie Bellen oder Winseln können Zeichen ängstlicher Erregung sein.

Wie kann man einem ängstlichen Hund helfen?

Ein gewisses Maß an Angst gehört zum Leben: Ein Hund, der sich völlig angstfrei jeder möglichen Gefahr gegenüberstellt, wäre in der Natur bald dem Tode geweiht: Neues argwöhnisch zu begutachten und in ungewohnten Situationen mit einer gewissen Vorsicht zu reagieren, sichert sein Überleben. Ständige übersteigerte Angstreaktionen im häuslichen Umfeld sind dagegen nicht nur unangebracht und störend, sie können langfristig auch die Gesundheit des Hundes schädigen.

Je nach Ursache und Ausprägung der Angst ist es nicht immer leicht, den Hund von ihr zu befreien - mit viel Geduld und konsequentem Training sind aber beachtliche Therapieerfolge möglich.

1) Vertrauen schaffen

Eine vertrauensvolle Bindung an den Besitzer bildet die Grundlage für ein angstfreies Miteinander. Dabei muss sehr individuell auf den Hund eingegangen werden: Manche Vierbeiner genießen Streicheleinheiten und Körperkontakt, andere reagieren darauf mit Unsicherheit oder Abwehr. In diesen Fällen hilft es oft, sich in die Nähe des Hundes auf den Boden zu setzen und leise mit ihm zu sprechen. Kommt er von sich aus zum Menschen und lässt sich vielleicht sogar angreifen, belohnt ihn ein Leckerchen für seinen Mut.

Auch das gemeinsame Spiel bietet eine gute Möglichkeit, das Vertrauen des Hundes zu gewinnen. Ein ruhiger, souveräner Umgang mit dem Vierbeiner vermittelt diesem die Sicherheit, dass er sich auch in schwierigen Situationen auf seinen Rudelführer verlassen kann.

Kleine Rituale, wie etwa das abendliche Kuscheln auf dem Sofa, fördern ebenfalls die Bindung und das Vertrauen zwischen Mensch und Hund.

2) Verringern der Angst durch behutsame Gewöhnung

An furchteinflößende Situationen sollte der Hund in kleinen Schritten herangeführt werden. Hat er beispielsweise Angst vor dem Autofahren, finden die ersten Übungseinheiten im stehenden Auto statt. Steigt der Hund freiwillig ein, wird er gelobt und bekommt ein Leckerchen. Dann sollte er sich einige Zeit auf dem für ihn vorgesehenen Platz niederlassen - für wie lange, darf er selbst bestimmen. Auch hier wird angstfreies Verhalten durch Lob und Leckerchen positiv bestärkt. Wenn der Vierbeiner im stehenden Fahrzeug keine Angst mehr zeigt, folgt eine kurze Ausfahrt: Idealerweise wird diese mit einem Spaziergang in einer für den Hund angenehmen Umgebung verbunden - so verknüpft er das Autofahren mit einem positiven Erlebnis und baut seine Angst langsam ab.

Ähnlich verläuft die Gewöhnung menschenscheuer Hunde an Besucher. Die erste Erfahrung sollte er mit einem ruhigen, hundeerfahrenen Menschen machen: Überwindet der Vierbeiner sein Misstrauen und nähert sich neugierig an, erhält er aus der Hand des Gastes ein Leckerchen. Wenn er sich aufgeschlossener zeigt, dürfen auch mehrere Menschen zu Besuch kommen. Kennt der Vierbeiner keine anderen Hunde und fürchtet sich vor ihnen, kann ein selbstbewusster, gut sozialisierter und freundlicher Artgenosse als "Lehrmeister" dienen: Im Idealfall wird dieser seinem ängstlichen Kollegen nicht nur arttypisches Hundeverhalten nahebringen, sondern ihm auch in potentiellen Gefahrensituationen als souveränes Vorbild zur Seite stehen.

In allen Fällen sollte der Schwierigkeitsgrad sehr behutsam gesteigert werden. Ein zu schnelles Vorgehen kann den Hund erneut in Angst versetzen und den vorangegangenen Trainingserfolg zunichtemachen.

3) Nicht übermäßig auf die Angst eingehen

Liegt ein Hund während eines Gewitters vor Angst zitternd in seinem Körbchen, ist es eine natürliche Reaktion des Besitzers, ihn zu bemitleiden und zu trösten. Den freundlichen Tonfall missversteht der Hund jedoch oft als Lob - er schließt also daraus, dass sein Verhalten der Situation angemessen ist und wird auch in Zukunft mit Angst darauf reagieren. Sucht ein ängstliches Tier von sich aus Körperkontakt mit dem Besitzer, darf es dieser selbstverständlich streicheln und ihm durch seine Nähe Schutz bieten: Nur auf überschwänglichen Zuspruch sollte er besser verzichten.

Hunde sind sehr sensibel und nehmen die Stimmung ihrer Menschen sehr genau wahr - die eigene Angst überträgt sich daher genauso auf den Vierbeiner wie Ruhe und Gelassenheit. Oft hilft es dem Hund daher am besten, wenn der Besitzer dessen Angst ignoriert und in aller Ruhe seinen Alltagsgeschäften nachgeht. Einen Hund für sein ängstliches Verhalten zu tadeln oder gar zu bestrafen, ist begreiflicherweise sinnlos und zieht mit Sicherheit eine Verstärkung der Angst nach sich.

4) Der ängstliche Hund unterwegs

Mit einem Hund, der aufgrund mangelnder Sozialisierung und fehlender Gewöhnung panisch auf alles Neue reagiert, werden Spaziergänge zu einer echten Herausforderung. Ängstliche Hunde neigen zu kopflosen Fluchtversuchen, wenn sie sich in einer furchteinflößenden Situation wiederfinden - sie sollten daher besonders in der Anfangszeit nur an der Leine ausgeführt werden. Ein Brustgeschirr bietet mehr Sicherheit als ein Halsband, aus dem sie sich leicht herauswinden können.

Die ersten Spaziergänge sollten nach Möglichkeit in einer ruhigen, ablenkungsfreien Umgebung stattfinden, damit der Hund das "Abenteuer Gassigehen" als positiv empfindet: Belebte Straßen und stark frequentierte Spazierwege stehen besser erst auf dem Programm, wenn der Vierbeiner an Selbstbewusstsein gewonnen hat. Weigert sich der Hund voranzugehen, helfen gutes Zureden und Leckerchen selten weiter - das souveräne Auftreten des Rudelführers und zielstrebiges Weitergehen veranlassen den Vierbeiner eher dazu, seinen Widerstand aufzugeben. Trottet er brav neben Herrchen oder Frauchen her, ist ein Lob angebracht! Nach und nach können die Spaziergänge ausgeweitet werden und Erfahrungen mit Artgenossen, dem Straßenverkehr und anderen potentiellen Gefahrensituationen hinzukommen.

Zeigt der Hund Angst, stellt sich der Besitzer schützend, aber ruhig und gelassen an seine Seite - Gefühlsausbrüche bestärken ihn nur in seiner Unsicherheit und sind daher fehl am Platz.

5) Beschäftigung gibt Selbstvertrauen

Ängstliche Hunde dürfen nicht überfordert, aber auch nicht in Watte gepackt werden. Jede erfolgreich bewältigte Aufgabe und das darauf folgende Lob gibt ihnen Selbstvertrauen und spornt zu neuen Aktivitäten an. In sensiblen Hunden schlummert oft erstaunliches Potential, das der Besitzer nur erkennen muss: So wachsen manche furchtsamen Vierbeiner beim Agility über sich hinaus, andere gehen in der Fährtensuche auf oder begeistern sich für das Apportieren.

Auch der Besuch der Hundeschule und die Absolvierung eines Begleithundetrainings stresst ängstliche Hunde oftmals weit weniger, als der Besitzer zunächst vermutet - unter der Anleitung eines verständnisvollen Hundetrainers, der auf die Stärken und Schwächen seiner Schützlinge eingeht, profitieren "Angsthunde" ebenso von der Ausbildung wie ihre von Natur aus selbstsicheren Kollegen.

6) Unterstützende Therapieformen

Wenn ein Hund unter sehr vielen Ängsten leidet oder angstaggressives Verhalten zeigt und sich trotz konsequentem Training kein Erfolg einstellt, ist es sinnvoll, einen Tierpsychologen oder Verhaltensberater aufzusuchen. Dieser geht zusammen mit dem Hundehalter den Ursachen der Angst auf den Grund und stellt einen Therapieplan zusammen, der speziell auf die Bedürfnisse des Hundes zugeschnitten ist.

Unterstützend können Bachblüten oder homöopathische Wirkstoffe zum Einsatz kommen: Diese sollten aber individuell auf den Patienten abgestimmt sein und deshalb nur in Absprache mit dem Tierpsychologen, einem Tierheilpraktiker oder Tierarzt verabreicht werden.

Ergänzungsfuttermittel mit beruhigenden Pflanzenextrakten können ebenfalls zur Entspannung des Hundes beitragen. Viele ängstliche Hunde empfinden Berührungen nach der Tellington Touch Methode als angenehm: Dabei werden Verspannungen gelöst und das Vertrauen zwischen Mensch und Hund gestärkt.

Treten Angstsymptome im Laufe des Hundelebens neu und scheinbar grundlos auf, sollte ein Tierarzt zu Rate gezogen werden: Es könnte sich dahinter eine Schilddrüsenerkrankung oder ein Nachlassen des Hör- oder Sehvermögens verbergen.

Literaturempfehlung / Quellen

Autorinbild
Autorin Regine Schineis

"Ein Leben ohne Tiere ist möglich, aber sinnlos." So lautet das Lebensmotto der Tierpsychologin und Autorin Regine Schineis, die gemeinsam mit Mann und Tieren in der Steiermark zu Hause ist.